The sieve of secrecy
08. September – 13. Oktober, 2023
Der menschliche Organismus fungiert, indem er ununterbrochen eine Wechselwirkung mit seiner Umwelt aufweist. Er manifestiert diese Interaktion durch die tägliche Aufnahme und Elimination diverser Dinge, wie Sauerstoff, Nährstoffe oder Flüssigkeiten. Gleich einem Sieb, agiert er wie eine selektive Barriere und behält die wichtigen Dinge, während er das Entbehrliche ausscheidet. Doch scheint der Körper noch so durchlässig, bleibt die Ästhetik des Inneren für uns meist verborgen. Einzig in extremen Zuständen wird ein Einblick in unser Inneres gewährt, womit die Grenzen von Innen und Außen verschwimmen. Entlang individueller Fragestellungen setzen sich die sechs Künstler:innen mit der An- und Abwesenheit menschlicher Existenz auseinander.
In den organischen Wandarbeiten von Jens Kothe wird unmittelbar die Grenzüberschreitung des Inneren nach außen evident. Verletzlich wirken die aufgeschnittenen Organismen und lassen uns die inneren Details begutachten. Mittels diverser Materialien wie Polsterwatte, Silikon, Lindenholz, Stahl, Bienenwachs, Stretchfolie und Stoffen, die mit Farbpigmenten bearbeitet worden sind, werden haptische Assoziationen bei den Betrachtenden hervorgerufen. Auch Objekte haben eine menschliche Anwesenheit inhärent und tragen Gesten und menschliche Rituale in sich. Die Objekte von Krystel Cárdenas spiegelt das alltägliche, häusliche Ritual des Menschen und die vergangene Berührung des Objekts ist spürbar. Der zarte Stuhl lässt uns durch die Abwesenheit sofort eine Assoziation zum menschlichen Körper ziehen. Das Wachs agiert hierbei als zusätzliche Schicht und betont das Verborgene in einem neuen Licht, das allein durch das Anzünden des Wachses enthüllt werden kann. Berenice Olmedo macht verborgenes sichtbar. Durch subtile Hinweise zeigt sie uns, wer in unserer Gesellschaft normalerweise nicht im Mittelpunkt steht und wirft einen neuen Blick darauf, was wir mit einem Körper assoziieren. Die Hinterfragung der Norm ist zentral in ihren Werken. Bei Jeanne Gaigher wird der Körper zu den Dingen, die er trägt. Die Komposition und Schichtung von Materialien verwandeln den Körper in einen Raum, in dem sich Informationen ansammeln. Er ist in Symbiose mit seiner Umwelt, die blüht, verrottet und zerfällt. Um hierbei das Gleichgewicht zwischen beiden zu halten, wird eine anatomische Form im Terrain sichtbar. Carolina Aguirres Arbeit setzt sich mit Fragen der Zugehörigkeit auseinander. Sei es ein Ort, Natur oder Gruppenzugehörigkeit. Die Zugehörigkeit wird als verkörperter Zugang thematisiert und erforscht die Beziehung zwischen Natur und Psychologie aus einer weiblichen und migrantischen Sichtweise. Das Traumhaus von Helin Alas dient als ein Symbol für die Erzählung eines von bürgerlichen Werten geprägten Aufstiegsnarrativs, welches nicht unbedingt erfüllt werden kann und in Zukunft vielleicht sogar obsolet sein wird (in Bezug auf Klassenfragen, soziale Unterschiede und die aktuelle Wohnsituation). Aus der Perspektive von Migrant:innen ist das Haus auch ein Symbol für das Ankommen und die Zugehörigkeit. Da das Haus oft als Ausdruck von Erfolg gesehen wird, stellt die Arbeit konventionelle Lebensziele Infrage. Der größte Teil des Traumhauses ist bereits geschmolzen und in einer Kiste gesammelt, wie Sedimentschichten vergangener Träume. Während sich die Werke in Bezug auf Medium und Materialität unterscheiden, offenbaren die Überlagerungen und Offenlegungen des sonst verborgenen in den Werken alle neuartige Narrative der Wahrnehmung menschlicher Existenz und lassen das Geheime und Innere durchdringen.