Yein Lee & Nour Jaouda
29.10.– 2.12.2022
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee
in other’s shoes – maybe no need for shoes, 2022
Epoxy putty, motorbike parts, electrical wires, fake flower, Polymer gypsum, steel, plaster
110 x 79 x 65 cm
Yein Lee
in other’s shoes – maybe no need for shoes, 2022 (detail)
Nour Jaouda
Buried in the Knot, 2022
Fabric dye and pigment on cotton canvas, steel
165 x 80 x 7cm
Nour Jaouda
Buried in the Knot, 2022 (detail)
Nour Jaouda
Lost and Found, 2022
Fabric dye and pigment on canvas
70 x 50cm (left)
Untitled, 2022
Fabric dye and pigment on canvas
50 x 50cm (right)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Nour Jaouda
Fold up the prayer mat in your flight, 2021
Fabric dye, pigment and acrylic on canvas, rebar steel
320 x 150cm
Nour Jaouda
Fold up the prayer mat in your flight, 2021 (detail)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee
the rate of regenerating in decay process, 2022
Epoxy Putty, motorbike parts, brocken air compressor, electrical wires, fake
flower, Polymer gypsum, steel, plaster
180 x 50 x 67cm
Yein Lee
the rate of regenerating in decay process, 2022 (detail)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee
Moth flapping inside of me, 2022
Epoxy putty, motorbike parts, electrical wires, brocken steering gear, fake
flower, Polymer gypsum, steel, plaster
200 x 70 x 36cm
Yein Lee
Moth flapping inside of me, 2022 (detail)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee
But in the end, what’s the difference between the foreign object and me? and
Perception, Fiction and Reality of One, 2022; 2-part work
Epoxy putty, motorbike parts, electrical wires, fake flower, fishing lure, grape
branch, acrylic color, steel, plaster, mirrors, LED strip sculpture
(figure) : 163 x 115 x 110cm
(table): 166 x 172 x 60cm
Yein Lee
But in the end, what’s the difference between the foreign object and me?, 2022 (detail)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Nour Jaouda
Untitled (Window series), 2021
Fabric dye and pigment on canvas
40 x 30cm (left)
Untitled (Window series), 2021
Fabric dye and pigment on canvas
40 x 30cm (right)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view
Yein Lee
But in the end, what’s the difference between the foreign object and me?, 2022 (detail)
Yein Lee & Nour Jaouda,
Installation view

DE
So unterschiedlich die künstlerische Praxis von Yein Lee und Nour Jaouda zu sein scheint, überschneidet sich in ihren Herangehensweisen jedoch eine materielle wie konzeptuelle Auseinandersetzung mit Überlappungen, Ausfransungen und Verbindungen. Gefundene Materialien, Stoffe und Objekte – und ihre jeweiligen kulturellen Bedeutungen, Geschichten und Assoziationen – werden zergliedert, zusammengefügt und in einen neuen Dialog gebracht. In ihren Verwebungen und Schichten sowie der dem Material zugesprochenen agency entstehen Gebilde und Szenen, die ganz eigene Erzählstrukturen vorzustellen vermögen. Yein Lees präsentierte Skulpturen drehen sich um den Signifikanten des menschlichen Körpers.
Einzelne Abgüsse von isolierten Körperteilen – ihren eigenen oder derer ihrer Freund:innen – vereinigen sich mit Gebilden aus Stahl, Epoxid-und Acrylharz, Latex, Elektrokabeln sowie gebrauchten Lenkrädern und Motorradteilen. Es entstehen (über-)lebensgroße anthropomorphe Figuren aus dunkler synthetischer Materie, verdrehten Karosserieelementen und Elektroschrott, die den Blick auf ihr organloses Inneres preisgeben. Sie sind sich mehr als einig, dass die körperlichen Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem, Gewachsenem und Produziertem oder Menschlichem und Nicht Menschlichen längst überwunden sind. Die eigenwilligen (technologischen) Ding- und Umwelten haben sich nicht nur in unsere Körper eingeschrieben, sie konstituieren sie. Als Tech-Junk-Figuren, die jeweiligen Sci-Fi- oder Body-Horror-Filmen geradezu entflohen sein könnten, testen Lees Skulpturen gleichzeitig das aufgeladene Vokabular von Körperhaltungen der klassischen Bildhauerei: „Moth flapping inside of me“ (2022) ausgeglichen stehend, „the rate of regenerating in decay process“ (2022) dafür im klassischen Kontrapost, mit Stand- und Spielbein, „in other’s shoes – maybe no need for shoes“ (2022) hockend und sinnierend, während „But in the end, what’s the difference between the foreign object and me?“ (2022) den Spiegel zu seinem:ihrem fragmentierten Gesicht gehoben sich seiner Selbst rückversichert. In der hybriden Figuration der Skulpturen scheint sowohl eine transgressive Dystopie auf als auch der „posthumane“ Möglichkeitsraum neuer performativer und relationaler Körper. Lees Werke zeichnen nicht nur den Körper, sondern auch die Skulptur als unabgeschlossenes, sich vielmehr im Zustand des Entstehungsprozess befindendes offenes System mit all seinen fragmentierten Formen und radikalen Instabilitäten. Auch in Nour Jaoudas Praxis spielt die Ent- und Neubewertung von Materialien und Techniken und mit ihnen verbundene Bedeutungsgenerierungen eine ausschlaggebende Rolle. In ihren Werken setzt sie gebrauchte Stoffe und gefundene Textilien ein, die sie selbst mit natürlichen Farben einfärbt. Jaouda beginnt immer mit dem Schnitt – einem Vorgang, durch den Stoffe geteilt und neu zusammengesetzt und damit ihre semantischen Kontexte, ornamentalen Traditionen und historische Motive dekonstruiert werden. So sind in „Buried in the knot IV“ (2022) Versatzstücke verschiedener Textilien und Quasten in verwaschenen und pastellenen Tönen in einen geschwungenen Rahmen aus Stahl eingespannt. Lose miteinander vernäht, überlagern und wechseln sie sich mit feingliedrigen ornamentalen und repetitiv geschnittenen Elementen ab. „Fold up the prayer mat in your flight” (2021) dagegen ist durch die bereits im Titel anklingende Auseinandersetzung mit dem kulturell aufgeladenen Objekt des Gebetsteppichs geprägt – einem Prop, das einen temporären und vor allem mobilen spirituellen Raum auf dem Boden heraufbeschwört und den Körper gleichzeitig von seiner Umwelt trennt. Jaoudas Werk besetzt jedoch nicht den Boden, sondern die Wand – an einem gebogenen Stangengerüst hängt es herab wie ein Vorhang und durchbricht in seinen Schnitten und Überlappungen nachvollziehbare Symmetrien und Muster und ihre jeweiligen Bedeutungen. Roland Barthes beschrieb die gemeinsamen etymologischen Wurzeln von Textilem und Textuellem (dem lateinischen „texere“ – „weben“) als „zugleich verwoben und unvollendet“.1 Gerade die stofflichen Ränder und Grenzen sind anfälliger für Ausfransungen. Genau in diesem Grenzraum zwischen dem hier und dort, Vorstellungen von dem Vertrauten und dem Fremden, von dem Eigenen und dem Anderen und ihren jeweiligen Erzählstrukturen situieren sich Jaouadas textile Werke. In ihnen verwebt sie fragmentarische persönliche und kollektive Erinnerungen und schichtet sie übereinander, um ein Gefühl der Migrationserfahrung zu vermitteln.

1 Bryan-Wilson, Julia: Fray: Art and Textile Politics (2021), University of Chicago Press, S. 4.2

Text: Franziska Margarita Linhardt

Yein Lee (geb. 1988 in S. Korea) lebt und arbeitet in Wien.
Nach dem Studium der bildenden Kunst in Seoul setzte Yein Lee ihre Ausbildung in Malerei und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien fort. In ihrer Praxis kombiniert sie technologische Elemente mit physischen Organismen und fantastische Vorstellungen, um hybride Visionen des Körperlichen zu schaffen. Indem sie Beziehungen sozialer Dissonanzen in ihrer erweiterten Umgebung untersucht, kombiniert sie gefundene Objekte mit gegossenen Stücken und malerischer gestischer Lebendigkeit. Lee schafft ein Diskussionsfeld, indem sie die Komplexität des gesellschaftlichen Verhaltens ins Visier nimmt.  Yein Lees Arbeiten wurden kürzlich unter anderem bei Final Hot Desert, Salt Lake City, Utah (2022), im Schinkel-Pavillon, Berlin (2022), im Belvedere 21, Wien (2022), im Centre Culturel Suisse, Paris (2021) und im Kunstraum Niederösterreich, Wien (2020), gezeigt.

Nour Jaouda (geb. im Libanon), lebt in London und Kairo.
Durch Malerei, Textildesign und Installationskunst erforscht Nour Jaouda Fragen der kulturellen Mobilität und eine Ästhetik der Migration. Durch die Konstruktion und Dekonstruktion kultureller Motive, gefundener Bilder und historischer Bezüge hinterfragt Jaouda konventionelle Vorstellungen von Identitätsbildung und deren flüchtige Erzählungen von Zeit, Ort und Zugehörigkeit. Ihre Praxis nimmt durch einen dekonstruktiven Prozess des Zusammenfügens und Auflösens Gestalt an, in dem das Fragmentarische, Unvollständige in konstanter Entwicklung gezeigt wird. Nour Jaouda erwarb 2018 ihren BFA an der Ruskin School of Art in Oxford und schloss 2021 ihren MA in Malerei am Royal College of Art in London ab. Ihre Arbeiten wurden in kürzlich unter anderem in Ausstellungen bei Fold, London (2022), der Saatchi Gallery, London (2021), White Cube Online (2021) und Cromwell Place, London (2021), gezeigt.

ENG
However different the artistic practices of Yein Lee and Nour Jaouda may seem, their approaches nevertheless overlap in their conceptual and material use of overlayering, fraying and combination. Found materials, textiles and objects – and their respective cultural meanings, histories and associations – are dismembered, recombined and brought together in new dialogues. The interweaving and layering of these materials, along with the agency assigned to them, thus create forms and scenes able to construct their own particular narrative structure. The sculptures by Yein Lee shown here revolve around the human body as signifier.
She combines single casts of isolated body parts – her own or those of her friends – with forms made of steel, epoxy and acrylic resins, latex, and electronic cables, as well as used steering wheels and motorcycle parts. The (larger than) life-size anthropomorphic figures that emerge, made from dark, synthetic materials, contorted bodywork elements and electronic scrap, disclose glimpses of internal cavities devoid of organs. These entities are all in full agreement that the physical boundaries between natural and artificial, between grown and fabricated, and between human and non-human have long since been overcome. The willful (technological) worlds of objects and environments have not merely entered into our bodies, they are now its constituent parts. At the same time, as tech-junk characters that seem as if they may well have escaped from a sci-fi or body horror film, Lee’s sculptures test the charged vocabulary of classic sculptural poses. Moth flapping inside of me (2022) stands evenly balanced, while The rate of regenerating in decay process (2022) assumes a classical contrapposto pose, with one leg bearing the weight of the body while the other remains free. in other’s shoes – maybe no need for shoes (2022) crouches, deep in thought, while But in the end, what’s the difference between the foreign object and me? (2022), holds a mirror to their fragmented face, reassuring themself. The hybrid figuration of these sculptures makes apparent the possibility of both a transgressive dystopia and a ‘post-human’ opportunity space for new performative and relational bodies. Lee’s works depicts the body, and sculpture itself, with all its fragmented forms and radical instability, as an unfinished, open system that is still evolving. In Nour Jaouda’s practice the devaluation and re-evaluation of materials and techniques, and the meanings associated with them, play a pivotal role. In her works Jaouda employs used fabrics and found textiles, which she dyes with natural dyes. She always begins with the cut – a process in which her materials are divided then reconfigured, thus deconstructing their semantic contexts, ornamental traditions, and historical motifs. In Buried in the knot IV (2022), tassels and scraps of fabric in faded and pastel tones are fixed to a curved steel frame. Loosely stitched together, they overlap and alternate with delicately ornamental, repetitively cut elements. In contrast, Fold up the prayer mat in your flight (2021) is characterised by a confrontation hinted at in its title. Here, the artist interrogates a culturally charged object, the prayer mat – a prop which conjures up on the ground a temporary and, above all, mobile, spiritual space, while at the same time separating the body from its surroundings. However, Jaouda’s work occupies space on the wall rather than the floor – it hangs like a curtain from a curved framework of rods and, with its cuts and overlaps, disrupts understandable patterns and symmetries, and their respective meanings. Roland Barthes described the ‘shared etymological roots of textiles and texts (from the Latin texere—to weave) as “at once interwoven and unfinished”’.1 The edges and borders of fabric are particularly s usceptible to fraying – and it is 1 precisely in these borderlands, between here and there, between ideas of the familiar and the foreign, of one’s own and the other, and their respective narrative structures that Jaouda’s textile works are situated. In these, she interweaves fragmentary personal and collective memories, adding layer upon layer, to convey a sense of the migration experience.

1 Jullia Bryan-Wilson, Fray: Fray: Art and Textile Politics (2021), University of Chicago Press, S. 4.1

Text: Franziska Margarita Linhardt
Translation: Anna Grant

Yein Lee (b. 1988, S. Korea) lives and works in Vienna.
After studying visual arts in Seoul, Yein Lee continued her education in painting and sculpture at the Academy of Fine Arts in Vienna. Her practice combines elements of technology, physical organisms, and fantastic conceptions to create hybrid visions of the bodily realm. Investigating relations of social dissonance in her extended surroundings, found objects are combined with casted pieces and painterly gestural liveness. She creates a field of discussion by targeting the complexities of societal behavior. Lee’s work has recently been presented at Final Hot Desert, Salt Lake City, Utah (2022); the Schinkel Pavilion, Berlin (2022); Belvedere 21, Vienna (2022); the Centre Culturel Suisse, Paris (2021); Kunstraum Niederösterreich, Vienna (2020); among others.

Nour Jaouda is a Libyan artist, based in London and Cairo.
Through painting, textile design and installation art, Nour Jaouda explores issues of cultural mobility and the aesthetics of migration. By constructing and de-constructing cultural motifs, found images and historical references, Jaouda challenges conventional ideas of identity formation and its volatile narratives of time, place and belonging. Her practice takes shape through a deconstructive process of making and unmaking, where everything is fragmentary, incomplete and constantly evolving. Nour Jaouda attained a BFA at the Ruskin School of Art in Oxford in 2018 and completed her MA in Painting at the Royal College of Art, London in 2021. Her work has recently been shown in exhibitions at Fold, London (2022); the Saatchi Gallery, London (2021); White Cube Online (2021); Cromwell Place, London (2021); among others.